Text 01
Gegenüber einer Gesellschaft, die ihre autoritären Strukturen nicht abbaut, sondern immer wieder neu aufbaut, verteidigen wir uns nicht. Gegenüber einer Gesellschaft, die Recht geht vor Macht sagt und Macht geht vor Recht meint, verteidigen wir uns nicht. Alle Macht der Freiheit! Gegenüber einer Gesellschaft, die Besitz und Eigentum mehr schützt als den Menschen, verteidigen wir uns nicht. In einer kapitalistischen Demokratie wie dieser, in einer indirekten Demokratie wie dieser, hat jeder die Möglichkeit über den andern zu herrschen, und dabei soll es auch bleiben, fragt sich nur wie lange noch. Die herrschende Moral ist die bürgerliche Moral und die bürgerliche Moral ist die Unmoral. Die bürgerliche Moral ist und bleibt die Unmoral. Wenn sie sich erneuert, wird sie zur neuen Unmoral (und nichts anderes). Gegenüber einer Gesellschaft, die die permanente Reproduktion der bestehenden Verhältnisse betreibt, verteidigen wir uns nicht. Wie heißt das Zauberwort? Macht heißt das Zauberwort, und das bedeutet Mord an der Freiheit! Was haben wir zum Beispiel nicht alles Nietzsche zu verdanken, diesem Antisozialisten? Zum Beispiel den Willen zur Macht. Du sollst an die Macht denken und nicht denken wollen, daß die Macht denkt, daß sie anfängt zu denken, um sich dann irgendwann einmal selbst zu entmachten; ergo: Macht die Macht kaputt (die Frage nach der Macht, die Macht der Frage). Weiter, noch einmal. Gegenüber einer Gesellschaft, die auf Grund der herrschenden Ansicht (Franz von Liszt schon 1882) Recht spricht – sprich Unrecht –, verteidigen wir uns nicht. Weiter. Gegenüber einer Gesellschaft, die das Verbrechen nicht als soziale Erscheinung und die Strafe nicht als soziale Funktion untersucht (Franz von Liszt), verteidigen wir uns nicht. Gegenüber einer Gesellschaft, deren Hilfe für den Täter in seiner Bestrafung – sprich Unterdrückung, sprich Repression – besteht, und die so die kapitalistische Gesellschaft schützt, immer weiter schützt, zu Tode schützt, gegenüber einer solchen Gesellschaft verteidigen wir uns nicht. Unvollkommene Wesen, wie sie die Menschen nun einmal sind (und auch bleiben in einer kapitalistischen Gesellschaft wie dieser, deren antiautoritäre Strukturen an Vollkommenheit nicht ihresgleichen haben und deren moralische Verkommenheit ohne Beispiel ist – es lebe das Schuldprinzip, damit das Strafprinzip nicht sterben muß, damit die Freiheit weiter verreckt und die Macht ja nicht zusammenkracht. Denn daß Strafe Schuld voraussetzt, ist einer der ganz wenigen unbestrittenen Grundsätze des Strafrechts usw. usw. Wann hört das endlich auf? Noch einmal: Die bürgerliche Moral ist und bleibt die Unmoral, wird sie erneuert, wird sie zur neuen Unmoral. Alle Reformbestrebungen sind sinnlos, weil sie systemimmanent sind. Noch einmal: Die herrschende Moral ist die bürgerliche Moral, und die bürgerliche Moral ist die Unmoral. Du darfst keine Angst haben, du darfst nicht auf dem Bett liegen, aber du darfst unter dem Bett liegen. Du darfst dir nicht selbst das Essen aufgeben, du darfst nicht aufgeben. Du darfst nicht rauchen. Du darfst zur Hölle fahren. Du darfst nichts anstecken, weil du ja den Feuermelder nicht einschlagen kannst, weil du ja nicht drankommst, weil du ja nicht rauskannst. Du darfst keine Gelegenheit versäumen, mit den anderen zu diskutieren, was immer dabei herauskommt. Mach ihnen klar, daß sie Hauptprodukte der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sind. Versuche ihnen das immer wieder klarzumachen. Weiter – du darfst nichts an die Wände kleben, aber einen Zettel, wo draufsteht, du darfst nichts an die Wände kleben, darfst du an die Wand kleben. Du darfst dich nicht verzetteln. Du darfst nichts an den Wänden aufhängen. Du darfst dich nicht aufhängen. Du sollst dir jeden Tag ein genaueres Bild von der Gesellschaft machen. Wenn du zum Pfarrer gehst, vergiß die Krücke nicht. Besuche keinen Gottesdienst, denn Gott ist tot. Du darfst dir nicht so viel Genüsse verschaffen wie du willst. Du darfst nicht so viel Kaffee trinken wie du willst, du darfst keinen Alkohol trinken, du darfst nicht Haschisch rauchen. Du darfst nicht konsumieren wie du willst, du darfst nicht konsumieren was du willst, und das in einer Gesellschaft, die nur noch aus Konsum besteht. Merke: Im Knast wird der Konsum wieder zum Genuß. Der Schriftverkehr wird überwacht. Der Geschlechtsverkehr wird nicht überwacht, denn er findet nicht statt. Du darfst nicht ehebrechen (was ist das?), und du darfst die Ehe (was ist das?) nicht vollziehen. Alle, die im Loch sitzen und noch an der bürgerlichen Existenz hängen (wehe dem, der keine andere hat), und das sind die meisten, werden irre an der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Und das wird auch Zeit. Denn wie sollen sie zum Beispiel ihre Ehe aufrechterhalten? Die gehen alle kaputt, und das ist gut. Du darfst nicht onanieren oder masturbieren, wenn dir das lieber ist. Du darfst mit deinem Körper machen was du willst. Es lebe die zweifache Homosexualität. Wenn die neuen Sexual-Gesetze kommen, darfst du auch wieder Katzen vögeln. Du darfst nichts anstecken, du darfst dich nicht in der anstecken. Du darfst dich nicht verstecken, du kannst es ja mal versuchen. Du darfst nicht verblöden. Du darfst dir im Rahmen einer vernünftigen Lebensweise Nahrungs- und Genußmittel sowie andere Gegenstände des persönlichen Gebrauchs beschaffen. Du darfst diesen Rahmen nicht sprengen. Du mußt es versuchen. Du darfst nichts unversucht lassen. Du darfst dich nicht ausbeuten lassen. Beschwerden sind sinnlos. Beschwerden sind sinnlos, sie unterwerfen dich nur der herrschenden Ordnung. Gemeinsame Veranstaltungen sind gemeinsame Verunstaltungen, und einsame Verunstaltungen sind einsame Veranstaltungen. Du darfst nicht vereinsamen, du darfst den Dialog nicht verlieren. Allgemeines über die Ungleichheit und Unfreiheit: Du bist ein Mensch erster Klasse, du bist ein Mensch zweiter Klasse, du bist ein Mensch vierter Klasse, du bist ein Mensch fünfter Klasse usw., und du sollst es auch bleiben. Das Leben ist in Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit eingeteilt. Das Leben ist eingeteilt in Zeit der Ausbeutung, Zeit der Unfreiheit und Zeit der Friedhofsruhe. Die Zeit der Bewußtlosigkeit hat aufgehört. Die Zeit der Bewußtwerdung hat angefangen. Das bürgerliche Leben ist eine einzige Untersuchungshaft. Wenn du es noch nicht gewußt hast, jetzt weißt du es. Du darfst da nicht leben und du darfst nicht sterben, du darfst nicht sterben und du darfst nicht leben. Eben. Du darfst nicht im Haus umherlaufen, du darfst den dir zugewiesenen Platz nicht eigenmächtig verlassen, du darfst nicht platzen. Du darfst nicht aus dem Fenster schreien, rufen oder sprechen, du darfst nicht mit dem Nachbarn (was ist das?) sprechen. Das Nichts darfst du behalten usw. Alles was du nicht darfst, das mußt du tun und darfst nicht ruhn. Denk immer dran. Du darfst dich nicht verteidigen. Niemals. Wer sich verteidigt, klagt sich an. Denk immer daran. Du darfst dich nicht selbst einschließen, du darfst nicht, du darfst nicht. Du darfst nicht müde werden. Noch einmal: du darfst nicht müde werden. Konzentriere dich. Du sitzest im KZ der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft. Also weiter. Die schlimmste Macht ist die Saubermacht. Die Reinigung ist die allergrößte Peinigung. Du darfst dich durch die Saubermacht nicht zur Sau machen lassen. Mach nur dann sauber, wenn es dir paßt. Sonst sitzest du nicht nur im Knast, sondern der Knast sitzt auch in dir. Bedenke, je sauberer die Zelle, desto größer ist die Hölle. Weiter. Ich kann es nicht länger beschreiben.