Text 07

Als kleiner Junge träumte ich davon, Pfarrer zu werden. Ich dachte, als Pfarrer könnte ich jeden Sonntag in der Kirche stehen und singen. Eine innere Stimme sagte mir: geh nach vorn und sing mit den anderen. Mehr als zehn Jahre habe ich im Kirchenchor gesungen. Später habe ich Philosophie an der Universität Plymouth studiert. Eine gute Ausbildung. Ich war der einzige in unserer Familie, der eine Universität besucht hat . Schon als Kind hatte ich enorm viel gelesen. Und meine liebst Frage lautete: Warum? Philosophie war deshalb ein naturgegebenes Fach für mich. Ich studierte ohne bestimmtes Ziel, nur getrieben von meiner Neugier. Meine Dissertation schrieb ich über die Frage des Bösen und des Leidens in einer von Gott geschaffenen Welt. Kann es einen Gott geben, wenn das Böse in der Welt ist? Die Antwort läuft immer wieder darauf hinaus, dass, wäre Gott in der Lage, einfach alles zu ändern, es dann auch keinen freien Willen gäbe. Um lieben zu können, muss man einen freien Willen haben. Um einen freien Willen zu haben, müssen die Menschen gleichermaßen Gutes wie Böses tun können. Ich war auch interessiert am Utilitarismus, an der Suche nach dem größtmöglichen Nutzen für alle Menschen. Aber ich bezweifele, ob diese Idee der menschlichen Natur entspricht. Man kann darüber nur streiten. In der Philosophie gibt es keine absolute Wahrheit. Das Wichtigste ist die Auseinandersetzung mit der Frage.

Nach der Universität wurde ich arbeitslos. Anfang der neunziger Jahre schien es unmöglich, irgendeine Stelle zu bekommen, die meinem Abschluss entsprach. Ich bewarb mich beim öffentlichen Dienst. Sie hatten 75.000 Bewerbungen auf 1500 Jobs. Am Ende hatte ich tagsüber einen Teilzeitjob in einem Warenhaus und einen nachts in einem Supermarkt. Nachtschicht zu arbeiten ist wie permanenter Jetlag. Ich wusste vorher gar nicht, was das ist. Manchmal schlief ich bei der Arbeit sogar im Stehen ein. Das war am Ende nicht mehr auszuhalten. So wechselte ich in einen Laden für Mobiltelefone. Ich war kein schlechter Verkäufer, ich war immer unter den zehn besten in unserer Gegend. Mein Job machte mir Spaß, es war schön, Leute zu treffen und ihnen bei ihren kleinen Problemen behilflich zu sein. Ich habe dabei nicht die Lust an der Philosophie und am Singen verloren, im Gegenteil. Damit kann ich mich immer wieder selbst herausfordern. Man muss seinen Geist in Bewegung halten. In vielerlei Hinsicht bin ich immer noch ein Verkäufer. Jetzt verkaufe ich Paul Potts.

Ich lebe, ohne zu sehr an morgen zu denken. Wenn man zu weit in die Zukunft schaut, beginnt man, in Vermutungen zu leben. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt. Ich möchte nichts daran ändern, wie ich mein Leben lebe. Wenn du beginnst, dich selbst zu verkaufen, verlierst du deine Identität. Ich verkaufe nur meine Arbeit.