Die Sehnsucht nach einer gerechten Welt. Linke Utopien und Ideale verrotten auf dem Müllhaufen der Geschichte oder haben sich in kulinarische Wohlfühloasen transformiert, deren Protagonisten sich als ewige Daueravantgarde eingerichtet haben. Nach dem bewaffneten Kampf trafen sich über sieben Jahre hinweg Therapeuten und Analytiker mit ehemaligen Mitgliedern der RAF, der Bewegung 2. Juni und deren Unterstützerszene zu Gesprächswochenenden. "Die unausgesprochenen Widersprüche aus zwanzig Jahren waren explodiert und lagen als Trümmer zwischen uns." Ursprünglich wollten sie in der Gruppe über sich als traumatisierte Opfer des Staates oder der Systems sprechen. Stattdessen machten sie Kassensturz. In der Mittelschicht regiert seit geraumer Zeit die Angst. Es wird gerne behauptet, dass diese Angst Ausdruck einer art gesamtgesellschaftlichen Verschiebung ist. Die Mittelschicht sorgt sich vor dem sozialen Abstieg und diese Angst werde projiziert auf Kriminalität. Berichte über Massenentlassungen, tatsächliche und bevorstehende Katastrophen, politische Gewalttaten und Verbrechen verbreiten Terror, den Terror der Existenzangst. Die Gefahr wird dabei zum Gespenst, das ständig durch das eigene Leben geistert. Es könnte eine Bombe explodieren, ich könnte meinen Job verlieren, ich könnte der Belastung nicht mehr gewachsen sein. Tatsächlich verbreitet sich das Gefühl, die Normalität sei abhanden gekommen. Kein Weg scheint mehr vorgezeichnet fürs Leben; ununterbrochen gilt es, Entscheidungen zu treffen; unklar ist, welchem Vorbild man folgen soll. Der kritische Blick gilt dem Leben der Anderen, ob deren Existenz nicht erfüllter ist als die eigene - Zufriedenheit ist nur relativ. Die Normalität wird mehrheitlich nicht als gegeben erlebt, sie muss von den Individuen selbst hergestellt werden. Daher ist die unverhältnismäßige Angst, die umgeht, eine Angst vor dem Verlust von Kontrolle. Die interne Gruppendynamik der RAF erinnerte von Anfang an eher an kaputte Obrigkeitsstrukturen als an die befreite Gesellschaft, die sie ja hatten vorleben wollten. "Nie zuvor habe ich in einer Gruppe so viel gegenseitige Entwertung erlebt." Das überrascht, man stellte sich die RAF ja als kompakte homogene Gruppe vor, vereint im Kampf, vereint im Veteranendasein. Karl-Heinz Dellwo erklärt bei einem ersten Treffen, es habe in der RAF keine Freundschaften gegeben. Im Leben nach der RAF erst recht nicht. In den 70er-Jahren dagegen war das Leben deutlich gefährlicher und die Angst geringer. Damals gab es noch eine als allgemein verbindlich empfundene Normalität, die zudem als einschnürend erlebt wurde. Gerade die kreativsten Köpfe befanden sich auf der Suche nach Gefahr und Unsicherheit. Am Hindukusch schien die Freiheit grenzenlos. Mittlerweile sind die Westler dort nur noch als Soldaten oder Angestellte von Hilfsorganisationen, denn dort wird heute "unsere" Sicherheit verteidigt. Außerhalb der Normalität, die wir selbst herzustellen vermögen, liegt eine Zone der Unsicherheit, die in keinen "Trail" mehr passt: mit No Go ist alles gesagt. Ganze Landstriche liegen einfach im Außerhalb, in einer Art Jenseits, in dem nicht einmal mehr die rudimentärste Infrastruktur existiert. Von Abstieg und Gewalt bedroht sind letztlich jene, die immer schon bedroht waren – für die Mittelschicht ist das Risiko zwar theoretisch vorhanden, aber hochgradig phantasmatisch. Die Worte "Reue" oder "Schuld" tauchen nicht auf. Jedoch das Eingeständnis, gescheitert zu sein, gefehlt zu haben. "Heute akzeptiere ich, dass unsere Handlungen verurteilt worden sind und folgen für uns haben mussten." Denn für sie war es ihr Vater, aber für mich war er das System. In der Tanzschule Nunzinger arbeitet Isabella Sulzmann als Lehrerin. "85 Prozent der jungen Leute, die hier tanzen, sind Gymnasiasten, die meisten haben Elternhäuser aus der gehobenen Mittelschicht", sagt sie. Zu jedem Anfängerkurs gehört die "intensive Einführung" in das richtige grüßen, essen, anziehen und smalltalken. Sulzmann hat sich auf dieses Thema spezialisiert und ist auf Gold gestoßen. Ihr Tischsittentraining im nahen Grand-Plaza-Hotel, Benimmunterricht für Auszubildende, für Burschenschaften und für mittlere Manager – alles ausgebucht.