Manifest
Selbstdarstellung durch Selbstreflexion und Zeitanalyse. Ästhetik der Existenz. Die Konstituierung einer nicht fremdbestimmten, sondern selbstbestimmten Existenz. Dinge zwischen Leben, Kunst und Werk stacheln zum Widerstand an. Sich den Kopf immer wieder zerbrechen, wie sich kleine, vielfach verschlungene Biographien, radikale Fluchtlinien, Utopien, Leidenschaften und private Obsessionen erzählen lassen, ohne auf die großen Erzählungen, auf den Größenwahn oder sonstige Kraftmeiereien zurückzugreifen. Bescheidenheit ist eine Qualität. Nie mehr vorgeben, als man ist, dafür das sein, was man vorgibt, vollumfänglich. 1 + 1 = 3. In der Kommunikation zwischen Leben und Kunst gibt es eine Eigendynamik, die nicht nur aus der Summe der beiden Elemente zu erklären ist. Es gehört Gelassenheit dazu, das Leben als real zu nehmen, es wahrzunehmen, es zu realisieren. Antikunst ist eben auch Kunst. Die Zerrissenheit in der modernen Welt (die bürgerliche Position) wird abgelöst durch eine Lebenskunst, welche sowohl die Zerrissenheit der Zeit verinnerlicht hat als auch Einblicke gibt in die innere Zerrissenheit der eigenen Person und das Selbst so zum ästhetischen Subjekt macht. Der Schlüssel zur Radikalität ästhetischer Arbeit ist die gleiche Gültigkeit (statt Gleichgültigkeit) von Ethik und Ästhetik, von Theorie und Praxis, von Philosophie und Leben. „Ich glaube daran, dass Kunst die Welt in der wir leben, verändern kann. Ich will, dass meine Kunst die Welt verändert, Leute verändert.“ Jeder Gedanke und jede Tat kann sich wirklich auf die Menschen auswirken – und eben nicht nur auf die Menschen, die uns nahe stehen. Es können Kettenreaktionen entstehen, die zur Katastrophe oder zur Befreiung führen. Absolutheitsansprüche verhindert man besten mit seinem Selbstverständnis als Dilettant. Gegen nichts und niemanden mehr auf die Barrikaden steigen, da man immer dagegen und dabei ist, immer teil der Markwirtschaft und teil des Protests. Dumm ist, wer mit Kunst Politik machen will. Begrifflich durchkonstruierte Dinge zwischen Leben, Kunst und Werk wirken viel radikaler und viel beunruhigender als Kritiken, wie etwa die Kritik am Kapitalismus. Die Ästhetik des Lebens spiegelt die Realität. Sie kritisiert die Realität, und sie bietet neue Entwürfe der Realität. Aus Text, Tanz, Ton und Theater wird Realität. Voraussetzung ist nicht ein „nein“, sondern ein „ja zur Welt“. „Man denkt im genauen Sinne in der Gesellschaft für die Gesellschaft gegen die Gesellschaft. ... die moderne Gesellschaft hat eine Form von Autopoiesis gefunden, um sich selber zu beobachten; in sich selbst gegen sich selbst. Widerstand gegen etwas – das ist ihre Art, Realität zu konstruieren.“ Wahnsinn, Chaosdienst und subversive Intuition als Metapher verkommen im Verhältnis zu den realen Erkenntniswelten der Gegenwart zu Abhub, Kitsch und Bewusstseinsramsch. Wirklichkeit ist in Wahrheit eine Wüste der entschwindenden und verlorenen Dinge. Nicht das hereinholen von Wirklichkeit in die Kunst, sondern das erschaffen von Realität zählt. Nicht artifizielle Kultur, sondern das wirkliche an der Alltags- und Popkultur interessiert. Das führt zu einem Beat für auseinanderstrebende Bewegungen, einem Beat für ein bestimmtes Lebensgefühl, das dem verschwinden des Wirklichen die Substanz von WIR-kl-ICH entreißt. Wir sind Ich’s, deshalb suchen wir um so heftiger den Kontakt, die Verbindung. Daraus entstehen Verweise und Reibung. „Wir haben die Kunst noch nicht erreicht.“ Die Darstellung ist geglückt, wenn das Publikum bemerkt: „Du hast dich für uns erschöpft.“ Dissidenz ist ein Synonym für Kunst. Die wahre Herausforderung ist es, sich durch Selbstsubversion den Spielregeln der Kunst und den Spielregeln des Staates zu entziehen, um den Tod, den Ärger, den Terror, die Lebensangst oder die Lebenslust im eigenen Tonfall zu imaginieren. Selbstsubversion selbst ist ein Denken nach der Kritik: ein Denken ohne Rebellion, ohne heroische Attitüde, ein Denken, das optimistische Akzente und positive Zeichen setzt, ohne sich intellektuell zu disqualifizieren. „Etwas entstehen lassen anstatt kreieren: also keine Behauptungen, Konstruktionen, Erstellungen, Erfindungen, Ideologien – um so an das eigentliche, reichere, lebendigere heranzukommen, an das was über meinem Verstand ist.“