B Wenn ich jetzt mit einer undurchdringlichen, wichtigen Miene her-
umlaufen würde, durchseelt von meiner Grossartigkeit, dann würden
die Leute etwas vorsichtiger sein. Bei mir sagen sie, der nimmt
sich doch selbst hopp, der sagt doch selbst, dass er ein Arsch-
loch ist. Wenn man die Fähigkeit zur Selbstironie hat, dann wird
man gleich nicht mehr ernst genommen. Glauben Sie mir, das wird
immer wichtiger: die Hornbrille, das richtige Reden, dieses
Ich-höre-Ihnen-zu-alldas-ist -sehr-interessant. Ich schlafe ein
dabei. Dabei bin ich viel zu infantil.Da kann ich mich einfach
nicht halten. Ich bin ein Pöbler. Ich weiss, das ist völlig kon-
traproduktiv.
A Verlangt man zu viel von Ihnen?
B Diese Energie, die man hier immer wieder aufbringen muss, ist
schon etwas Besonderes. Ich habe damals gemerkt, dass eine be-
stimmte Richtung nicht mehr funktioniert. Ich habe das aber selbst
provoziert. An dem Punkt habe ich gesagt, so geht es nicht weiter.
Ich wollte eine andere Härte des Denkens. Es war früher eine an-
dere, eine wütende, politisierte Zeit, es herrschte ein anderes
intellektuelles Klima. Jetzt haben wir dieses Mitte-Denken, das
immer nur sich selbst reflektiert, da ist es nicht schlecht, in
die Welt zu gehen und zu sehen, was dort passiert. Das ist wie bei
Goethes "Bürgergeneral": Überall auf der Welt pulsiert das Leben,
die französische Revolution kehrt das oberste zu unterst, und wir
bleiben hübsch bei unseren Maßstäben. Wichtig ist nur, dass der
Milchtopf an dem Fleck steht, wo er immer gestanden hat. Diese Art
von Schlafmützigkeit par excellence, die ist heute eigentlich ge-
nauso. Von wegen: Rauchen verboten! Nur weil die Amerikaner sagen,
wir müssen die Leute auf Trab halten, damit sie ihre Demokratie
praktizieren, ohne dass sie sich mit den wirklich wichtigen Din-
gen, zum Beispiel den Kriegen beschäftigen.
B Wir kommen letztlich alle aus den Mittelschichten und wir spiegeln
nur die Befindlichkeiten dieser Mittelschichten wider. Ein
Ackermann ist uns schon sehr fremd und die Leute in ihrem sozialen
Ghetto auch. Wir haben es ja versucht. Aber das sind Marginalien,
vielleicht auch nur, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Wir
unterhalten uns nur mit unseresgleichen, da ist es schwierig, sich
politisch zu positionieren. Aber ich sehe die deutsche Vergangen-
heit, und ich sehe auch die Zukunft, in Sao Paolo zum Beispiel.
Ich sehe, dass das nicht gut ist, wie manche Menschen da leben.
Ich sehe, wo es hingeht. Ich sehe, dass man etwas tun müsste.
A Und was?
B Das erste ist unabhängiges, konsensfeindliches Denken.
A Es gibt auch hier Dinge, gegen die man etwas unternehmen müsste.
B Selbstverständlich. Die terroristischen Zusammenhänge unseres so-
zialen Lebens zum Beispiel. Gegen die Art, wie Macht ausgeübt
wird, wie Menschen vernichtet werden. Mobbing ist dafür das
lang weiligste Wort. Ich bin durchaus ratlos in unserer perspek-
tivlosen Gesellschaft. aber wenn aus dieser Ratlosigkeit Konser-
vativismus folgt, dann ist das gefährlich. Dann würde ich eher
eine Krise in unserer Gesellschaft der Mittelschichten diagnos-
tizieren. Kann ja sein, dass man sagt, der soll uns mit seinem
politischen Zeug in Ruhe lassen. Aber bin ich dann in der Krise?
Oder ist vielleicht der Zustand der Welt die Krise?
A War das mal anders?
B Wir haben den politischen Standort, die Haltung verloren. Wer
sagt denn noch, lass uns doch Deutschland/Österreich in seiner
Arschigkeit mal extrem angreifen. Das wäre ein Akt. Aber man
verwaltet die Routine und die Interessen, die sich so gut ausge-
polstert haben. Immer diese Richtigmachen, dieses Wissen, wie man
etwas aufbaut - das ist alles Schmalspurpsychologie, furchtbar.
Da ist kein Interesse für das psychopathogene Moment einer Figur.
A Vielleicht kann man sich als Zuschauer mit Schmalspurpsyche
leichter identifizieren.
B Es hat was mit den Sehgewohnheiten zu tun. Das ist der immer alles
verstehenwollende Kleinbürger, der Angst hat, vor jeder Form von
Bewegung.